Was passiert mit den Mitarbeitern bei einem Verkauf der Praxis oder Apotheke?
Die Rolle des Arbeitsrechts beim Praxis- oder Apothekenverkauf
Der Verkauf einer Apotheke oder Arztpraxis ist ein komplexer Prozess, der oft weitreichende Konsequenzen für das angestellte Personal hat. Arbeitsverhältnisse können nicht einfach gekündigt werden, um den Betrieb "frei" an einen Nachfolger zu übergeben. Vielmehr sind die Arbeitsverhältnisse ein zentraler rechtlicher Faktor, der den Verkaufspreis und den Ablauf maßgeblich beeinflusst. Die wichtigste gesetzliche Grundlage hierfür ist der Betriebsübergang nach § 613a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB).
Was bedeutet Betriebsübergang?
Ein Betriebsübergang liegt vor, wenn eine wirtschaftliche Einheit durch einen Inhaberwechsel auf einen neuen Inhaber übergeht. Dies ist beim Verkauf einer Arztpraxis oder Apotheke in der Regel der Fall.
Die Folge: Der neue Inhaber tritt automatisch in alle Rechte und Pflichten aus den bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Der Käufer übernimmt das gesamte Personal mit den bestehenden Arbeitsverträgen.
Kein Kündigungsrecht: Weder der alte noch der neue Inhaber dürfen das Arbeitsverhältnis wegen des Betriebsübergangs kündigen. Eine Kündigung, die allein mit dem Verkauf der Praxis begründet wird, ist unwirksam.
Bestand der Arbeitsverträge: Sämtliche Arbeitsverträge bleiben in ihrer bisherigen Form bestehen. Das betrifft das Gehalt, die Arbeitszeit, den Urlaubsanspruch und alle weiteren vereinbarten Konditionen.
Haftung: Der alte und der neue Inhaber haften für Verpflichtungen, die vor dem Betriebsübergang entstanden sind, gesamtschuldnerisch. Das bedeutet, der Mitarbeiter kann wählen, von wem er beispielsweise ausstehende Gehälter einfordert. Für Verpflichtungen, die nach dem Übergang entstanden sind, haftet allein der neue Inhaber.
Was muss der Verkäufer beachten?
Der Verkäufer muss die Mitarbeiter über den geplanten Betriebsübergang informieren. Diese Unterrichtungspflicht ist gesetzlich vorgeschrieben und muss in schriftlicher Form erfolgen. Die Information muss den Zeitpunkt des Übergangs, den Grund, die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen sowie geplante Maßnahmen enthalten. Die Frist für diese Unterrichtung ist nicht gesetzlich festgelegt, sollte aber frühzeitig erfolgen, um den Mitarbeitern eine Entscheidung zu ermöglichen.
Was muss der Käufer beachten?
Für den Käufer ist es entscheidend, die Arbeitsverhältnisse genau zu prüfen.
Dies ist oft Teil der Due-Diligence-Prüfung. Besonderes Augenmerk sollte auf folgende Punkte gelegt werden:
Vollständigkeit der Unterlagen: Sind alle Arbeitsverträge und Personalakten vorhanden und vollständig?
Rückstellungen: Gibt es offene Lohnforderungen, Überstunden oder Rückstellungen für Urlaubsansprüche, die der Verkäufer nicht erfüllt hat?
Kündigungsschutz: Existieren Mitarbeiter, die besonderen Kündigungsschutz genießen, wie Schwangere oder Schwerbehinderte?
Das Widerspruchsrecht der Mitarbeiter
Ein wichtiger Punkt, den sowohl Verkäufer als auch Käufer kennen müssen, ist das Widerspruchsrecht der Mitarbeiter. Jeder Mitarbeiter hat das Recht, dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses zu widersprechen. Dieser Widerspruch muss schriftlich innerhalb eines Monats nach Erhalt der ordnungsgemäßen Unterrichtung erfolgen.
Folge des Widerspruchs: Widerspricht ein Mitarbeiter dem Übergang, bleibt sein Arbeitsverhältnis beim alten Inhaber bestehen. Dies kann für den Verkäufer problematisch sein, da er dann für das Arbeitsverhältnis verantwortlich bleibt, obwohl er das Unternehmen veräußert hat.
Szenarien: In der Praxis wird das Widerspruchsrecht selten genutzt, da die Mitarbeiter meist ein Interesse daran haben, ihre Arbeitsstelle zu behalten. Allerdings kann es als Druckmittel in Gehaltsverhandlungen oder bei Unzufriedenheit mit den neuen Konditionen genutzt werden.
Haftung für Gehälter und Verbindlichkeiten – Wer zahlt was?
Ein entscheidender Punkt beim Betriebsübergang ist die Haftung für die Verbindlichkeiten aus den Arbeitsverhältnissen. Viele Inhaber und Käufer unterschätzen die Risiken, die sich hieraus ergeben. Die Regelung des § 613a Abs. 2 BGB ist hierbei unmissverständlich:
Der alte und der neue Inhaber haften für die vor dem Übergangszeitpunkt entstandenen Verbindlichkeiten gesamtschuldnerisch.
Das bedeutet:
Verbindlichkeiten vor dem Betriebsübergang: Für alle Lohnansprüche, Überstundenvergütungen, Urlaubsabgeltungen oder sonstige Ansprüche, die bis zum Zeitpunkt des Verkaufs entstanden sind, kann der Mitarbeiter wählen, ob er sich an den alten oder den neuen Inhaber wendet. Er hat einen Anspruch auf die volle Leistung von beiden.
Beispiel: Ein Mitarbeiter hat vor dem Verkauf 500 Euro an Überstunden angesammelt. Nach dem Übergang kann er diese 500 Euro entweder vom Verkäufer oder vom Käufer verlangen. Derjenige, der die Zahlung leistet, hat unter Umständen einen Ausgleichsanspruch gegenüber dem anderen.
Verbindlichkeiten nach dem Betriebsübergang: Für alle Ansprüche, die nach dem Übergangszeitpunkt entstehen, haftet allein der neue Inhaber.
Wie können sich Käufer und Verkäufer absichern?
Um unangenehme Überraschungen zu vermeiden, ist eine sorgfältige Due Diligence (Prüfung) unerlässlich.
Für den Käufer: Es ist ratsam, vor der Unterzeichnung des Kaufvertrags eine detaillierte Aufstellung aller offenen Lohnansprüche, Überstundenkonten und Urlaubsrückstände zu fordern. Im Kaufvertrag sollte zudem eine Freistellungsklausel vereinbart werden, die den Verkäufer dazu verpflichtet, den Käufer von allen Altlasten freizustellen. Alternativ kann ein Teil des Kaufpreises als Sicherheit für offene Verbindlichkeiten einbehalten werden.
Für den Verkäufer: Er sollte alle offenen Forderungen der Mitarbeiter bis zum Verkaufszeitpunkt begleichen und dies dokumentieren. Eine transparente Übergabe aller Personalunterlagen ist ebenfalls im eigenen Interesse, um spätere Haftungsrisiken zu minimieren.
Die Haftung für Gehälter und Verbindlichkeiten verdeutlicht einmal mehr, wie wichtig eine frühzeitige und umfassende rechtliche Beratung beim Praxis- oder Apothekenverkauf ist. So stellen Sie sicher, dass keine bösen Überraschungen auf Sie warten und der Übergang reibungslos verläuft.